Auf Walserwegen im Piemont vom 24.07. – 31.07.2021

Der Sozialwissenschaftler Hartmut Rosa hat am 16. Mai 2019 in seinem Vortrag zum 150-jährigen Bestehen des Deutschen Alpenvereins die Idee entfaltet, dass die Faszination der Berge darin liege, dass wir bei unseren Touren mit den Bergen in Kontakt treten als etwas, das man nicht vollständig beherrscht, und die Berge für uns zu so etwas wie einem Resonanzraum werden, wo wir etwas eigengesetzlichem Anderem begegnen.

Viel von dieser Unverfügbarkeit konnten die Teilnehmer der Piemont-Tour erleben: angefangen von einer Bahnverbindung, die auf einmal nicht mehr auffindbar war, über einen vom falschen Gleis abfahrenden Zug, dem wir nur noch hinterherschauen konnten, mit einem vermeintlich gebuchten, aber verschlossenen Rifugio, einem Etappenort anscheinend ohne Verpflegungsmöglichkeit, mal ganz abgesehen von den unkalkulierbaren Wetterkapriolen. Aber unter all diesen eigenartig widersetzlichen Bedingungen konnten wir erleben, wie sich durch Improvisation, freundliche Menschen und auch etwas Glück neue überraschende Auswege und Ausblicke auftaten: eine online nicht auffindbare alternative Buslinie, noch freie Betten in einer anderen Unterkunft, ein Shuttle zu einem exzellenten Restaurant im Nachbarort, oder auch das unerwartete Aufreißen der Wolkendecke am Rifugio Pastore, das uns den grandiosen Blick auf das Monte Rosa Massiv freigab, mit der Capanna Margherita gut sichtbar 3000 m über uns – so dass wir mehrfach das „Glück des Unverfügbaren“ (Rosa) erleben konnten.

Darüber hinaus hatte das Erwandern der alten und einsamen Walserwege bei wolkenverhangenem Wetter mitunter etwas von einer mystisch-meditativen Atmosphäre. Die historischen Walserorte selbst haben uns Jahrhunderte zurückversetzt in eine regional angepasste Kultur- und Lebensweise, die sicher noch mehr als unsere Zeit von Unwägbarkeiten und Widrigkeiten beherrscht war. Den Walsern hat der Glaube geholfen, dies zu tragen und ertragen, wie etwa die Kapelle in Alagna mit den alten Walser-Deutschen Gebeten bezeugt. Wer etwas Festes und Verlässliches hat, kann mit Unsicherheiten besser umgehen. In gewissem Sinn gilt das natürlich auch für unsere Tour: da sie von den erfahrenen und bewährten Tourenleitern Cäcilie Bauer und Günter Bergmann vorbereitet und geleitet wurde, konnten wir den Unverfügbarkeiten gelassen ins Auge sehen.

Johannes