Carsten Zapp aus Ilvesheim ist eine echte Sportskanone. Von Kindesbeinen an treibt der heute 39-jährige Sport – spielt Fußball, übt sich im Crossfit, geht Tauchen. Auch fürs Wandern hat der zweifache Familienvater ein besonderes Faible. „Letztes Jahr waren wir am Wilden Kaiser in Österreich. Es war toll, sich in der Natur und an der frischen Luft zu bewegen“, erzählt der gelernte Elektroinstallateur. Als er schließlich über Freunde von einem neuen Projekt des DAV Mannheim mit dem Titel: „Mein erster 4000er“ erfährt, gibt es für ihn kein Halten mehr. Zapp will „hoch hinaus“ und meldet sich bei dem halbjährigen Programm an. Ein Unternehmen, das ihn auf bislang völlig unbekanntes Terrain führen wird. Doch dazu später mehr.
Zum ersten Mal im Leben auf einem Viertausender stehen
17 weitere Teilnehmer aus der Rhein-Neckar-Region und Karlsruhe sind ebenfalls dabei – der jüngste 25, der älteste 67 Jahre alt. Eine bunt gemischte Truppe. Sie alle verbindet eine große Vision. Sie wollen sich im Sommer 2025 zum ersten Mal in ihrem Leben, in hochalpinem Gelände ausprobieren.

Der mächtige Lyskamm
Die Vorbereitungen sind intensiv und ziehen sich über Monate hin. Auf dem Programm stehen viele praktische wie theoretische Einheiten: Alpine Gefahren, Wetter- und Knotenkunde, Gehen in einer Seilschaft, Spaltenrettung, Erste Hilfe am Berg. Die Gruppe lernt, was eine komplette Hochtourenausrüstung beinhaltet und welche Atemtechnik in der dünnen Gebirgsluft vorteilhaft ist. Vor allem aber bringt ihnen das Ausbildungsteam rund um den erfahrenen Bergtrainer Wolfgang Engelter bei, wie wichtig der Zusammenhalt in der Gruppe ist. Jeder steht für den anderen ein und muss auf dessen Fähigkeiten vertrauen können. Unerlässlich für einen Trip in die Berge, der letztendlich viele Risiken birgt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unternehmen lange Trainingswanderungen, stets gut vorbereitet und organisiert von Diana Tichy, mit schwerem Gepäck, Konditions- und Flexibilitätsübungen. Alles, was wichtig ist, um für die raue Bergwelt gewappnet zu sein.
Akklimatisierung ist in der Höhenluft überaus wichtig
Mitte Juli ist es endlich soweit. Carsten Zapp und seine Teamkollegen starten mit zwei Kleinbussen von Mannheim aus Richtung Süden. Ziel ist das italienische Monterosa Massiv mit seinen berühmten Viertausendern. Am Col du Grande St. Bernhard in der Schweiz legt die Gruppe einen Zwischenstopp ein. Hier genießen sie nochmal den Luxus eines komfortablen Hotels mit frischbezogenen Betten und viel Ruhe – wohlwissend, dass alles, was danach kommt, einem völlig anderen Standard zuzuordnen ist. Der Halt auf rund 2.500 Metern Höhe ist überaus wichtig, damit sich die Körper akklimatisieren und langsam an die dünne Gebirgsluft gewöhnen. Drohen bei zu schnellem Anstieg doch schwere Erkrankungen. Die DAVler nutzen den Aufenthalt, um sich bei einer mehrstündigen Wanderung die Beine zu vertreten und auch an das Erklimmen steiler Gebirgspfade zu gewöhnen. Am nächsten Morgen reist die Truppe weiter. Auf schnellstem Weg geht es in das bezaubernde Bergdorf Staffal im italienischen Aostatal. Hier führt eine Bergbahn hoch zum Punta Indren. Als sich die Türen der Gondeln auf der obersten Bergstation öffnen, wird Carsten Zapp und seinen Mitstreitern schlagartig klar – das große Abenteuer, es beginnt!
Zahlreiche Viertausender sind von der Gnifetti-Hütte aus erreichbar
Ab jetzt muss sich jeder auf die eigene Muskelkraft verlassen. Ein anspruchsvoller Bergweg mit waghalsigen Kletterabschnitten führt hinauf zur legendären Gnifetti-Hütte – einem bei Bergsteigern überaus beliebten Ausgangspunkt für ausgedehnte Hochtouren im Monterosa Gebiet. Von hier aus lassen sich eine Vielzahl von Viertausendern erklimmen. Darunter Berggipfel, die das Herz eines jedes Alpinisten höherschlagen lassen: der Lyskamm, das Schwarzhorn, die Dufourspitze, Pollux und Castor. Das DAV-Team hat sich drei Gipfel vorgenommen. Die Gruppe plant den Aufstieg zur Vincent Pyramide, zum Balmenhorn und will hinauf auf die Signalkuppe. Ein ambitioniertes Unterfangen, wie sich herausstellen soll.

Gnifetti Hütte auf 3.647 Meter
In der Gnifetti- Hütte (3.647 m) beziehen die Mannheimer Sektionsmitglieder Quartier. Die Hochbetten in den karg ausgestatteten Zimmern sind bequem. Überall herrscht Trubel auf den Gängen. Die Hütte bietet 170 Schlafplätze und ist voll belegt. Im Juli ist Hochsaison in den Bergen. Jeder tritt dem anderen auf die Füße. Irgendwie gilt es in dem Chaos, die Tourenausrüstung für den nächsten Tag zu richten: Eispickel, Steigeisen, Daunenjacke, Flies, Wasserblase, energiereiche Snacks für unterwegs. Einige Tourenteilnehmer klagen über Kopfschmerzen – der Organismus reagiert hier schon auf den geringen Sauerstoffgehalt in der Luft.
Schneesturm bremst die Mannheimer Gipfelstürmer aus
In der Nacht schneit es. Der Wettergott meint es nicht allzu gut mit den Mannheimern. Am nächsten Morgen präsentiert sich der Lysgletscher, der inmitten eines traumhaft schönen Bergpanoramas unmittelbar am Fuß der Hütte liegt, in einem diesigen Grau in Grau. Der Aufstieg beginnt bei Nieselregen. Auf drei Seilschaften verteilt, wagen Carsten Zapp und seine Freunde die ersten Schritte über das ewige Eis. Dem Gletscher macht der Klimawandel sichtlich zu schaffen, innerhalb eines Jahres sind große Areale abgeschmolzen. Schon nach wenigen Metern gilt es, die ersten Spalten zu überwinden. Dabei zeigen die Trainings ihre Wirkung, die Abläufe sitzen. Die Spuren anderer Seilschaften im Schnee erweisen sich als hervorragende Orientierungshilfe. Die Luft ist herrlich klar. Langsam bewegen sich die Seilschaften vorwärts, über Stunden geht es steil bergan. Doch wenige Höhenmeter unterhalb des Gipfels der Vincent Pyramide bremst ein Schneesturm die Gruppe urplötzlich aus, der Wind fegt unbarmherzig über die weite Ebene. „Von jetzt auf gleich war es bitterkalt“, berichtet Carsten Zapp. An ein Weiterkommen ist nicht mehr zu denken, die Truppe muss den Rückzug antreten. Der Gipfel auf Vincent-Pyramide und Balmenhorn bleiben auf dieser Tour ein unerreichbares Ziel. Ein guter Grund, um möglichst bald wiederzukommen.

Aufstieg zur Vincent Pyramide
Das Highlight: der Aufstieg zur Signalkuppe
Am Nachmittag heißt es, Kräfte zu sammeln und nochmals in allen Seilschaften die Spaltenrettung zu üben. Denn am nächsten Tag steht der Aufstieg zur Signalkuppe auf dem Programm, das Highlight der gesamten Tour. Fast 1.000 Höhenmeter wollen bezwungen werden. Um 4 Uhr in der Früh quälen sich die Mannheimer aus den Betten, nach einem guten Frühstück geht es los. Das Ziel heute: die Margherita-Hütte. Sie liegt auf der Spitze der Signalkuppe (4.554m) und ist Europas höchstgelegenstes Gebäude.

Die Signalkuppe mit 4554 Höhenmeter der sechst höchste Gipfel der Alpen
Die Heidelberger Uni betreibt hier eine Forschungsstation. Der Aufstieg führt erneut über gigantische Gletscherfelder. Jeder Schritt in der dünnen wie klirrend kalten Gebirgsluft wird zur Herausforderung. Keine Frage: Es ist ein unglaublich schönes aber gleichzeitig unwirtliches Terrain, der Mensch scheint für solche Höhen nicht geschaffen. Das Atmen fällt schwer. Abseits jeglicher Zivilisation gerät plötzlich alles in Vergessenheit: „Mein Job, die Hektik, der Alltag, die üblichen Sorgen, all das war mit einem Mal wie weggeblasen“, berichtet Carsten Zapp. Ein Gefühl von endloser Weite stellt sich ein. Oberhalb der Wolkendecke thront erhaben das Matterhorn in kilometerweiter Entfernung und auch der Blick auf das Mount Blanc Massiv ist frei.

Der Blick auf das abendliche Matterhorn
Und dann, nach monatelanger Vorbereitung, ist es geschafft. Nur noch wenige Schritte bis zur Margherita-Hütte, danach fallen sich die Mannheimer Gipfelstürmer in die Arme, gratulieren sich zum gelungenen Aufstieg. Auch für Carsten Zapp ist das ein ganz besonderer Moment. „Nach so einem Tag ist man einfach nur happy anzukommen!“, sagt er. Ob der 39-jährige eines Tages wiederkommen will? „Wird sich zeigen“, lautet seine Antwort. Dann steuert Zapp die kleine Hüttenbar an. Hier gibt es kühles Bier zu kaufen, um auf das gelungene Abenteuer anzustoßen.

Carsten Zapp am Ziel auf der Margherita Hütte
Text und Bilder: Stephanie Ley