Mitte August 2014 – Hochsommer? Schon als sich unsere 11-köpfige Gruppe am Parkplatz Fischleinboden bei Sexten/ Südtirol sammelte, zeichnete sich ab, dass für die kommenden 5 Tage kein sonniges Bergwetter vorhergesagt war. Frohgemut marschierten wir dennoch Richtung Talschlusshütte los und hatten bereits eine halbe Stunde später die kompletten Regensachen ausgepackt.
Die tausend Höhenmeter Aufstieg zur Dreizinnenhütte (2438m) marschierten wir weitgehend im Nebel. Erst als wir schon fast das Plateau erreicht hatten, wichen die dichten Schwaden, welche die Felstürme verhüllten, einem kräftigen Schauer. Kälte und mangelnden Ausblick vergaßen wir allerdings schnell, als wir ein Drei-Gänge-Menü serviert bekamen, welches einem Nobelrestaurant entsprungen schien: Fischcremesuppe, Rindersteak, Sauerrahmkartoffeln in der Parmesanhippe, garniert mit glasierten Topea-Zwiebelringen und Rosmarin-Crostini, Wasabi-Mayonnaise und ein leckeres Dessert.
Aufgrund von Regen ließen wir den als Eingehtour geplanten Leiternsteig auf den Toblinger Knoten sein und entschieden uns, gleich die wettergeschützten Kriegsstollen des Paternkofel aufzusuchen. Auf dem normalerweise häufig begangenen, beliebten Schartensteig trafen wir nur wenige Menschen an. Sturmwind trieb uns zu einer Rast in der gemütlichen Büllelejoch-Hütte, von dort aus war es nur eine knappe Stunde Abstieg durch ein malerisches Tal zur Zsigmondy-Hütte (2224m), die sogar eine Art Trockenraum vorweisen konnte.
Am nächsten Morgen winkte der Alpini-Steig. Wir stiegen mit Blick auf die Schneerinnen des Zwölferkofels ein Geröllfeld bis zu einem kleinen See auf und gewannen unterhalb des Elferkofels allmählich immer mehr an Höhe. Nach einer Mittagsrast an der Elferscharte mit Aussicht auf die Drei Zinnen folgten wir dem Steig die meiste Zeit auf einem schmalen, teils mit Sicherungen versehenen Band, welches von kleinen Rinnen mit Restschnee durchbrochen wird. Obwohl stellenweise Versuche unternommen wurden, die größeren und besonders abschüssigen Schneefelder mit Sicherungen zu versehen, war der Alpini-Steig noch nicht lange geöffnet. Malerische Weitblicke, der Widerhall von krachendem Steinschlag und kaum Gegenverkehr. Auch auf dem Abstieg ins Bachental hatten wir ein sehr großes Schneefeld mit Hanglage zu durchqueren. Nun hieß es wieder ein paar Höhenmeter durch üppig wuchernde Alpenflora auf und ab, bis zurück in die Zivilisation der Rotwandwiesenhütte (1924m). Wir pferchten wir uns zu elft in ein Vier- und ein Fünfbettzimmer und genossen erstmalig wieder Warmwasser.
Sobald der Regen während des Frühstücks vorbei war, war die Gruppe bereits wieder hochmotiviert, die Sextener Rotwand in Angriff zu nehmen. Nur Jürgen d. Ä. bewies Sachverstand und wählte den tiefer gelegenen Weg über den Kreuzbergpass, fiel jedoch italienischer Ahnungslosigkeit zum Opfer und musste einen 20km weiten Umweg, durchsetzt von Regenschauern, auf sich nehmen. Die anderen zehn bekamen anderes Wetter geboten, da es auf ca. 2400m zu schneien begann. Die perfekte Chance, jegliche Konkurrenz auf dem Rotwandsteig loszuwerden und die Trostlosigkeit der hochalpinen Stellungen, in denen jungen Soldaten monatelang ausharren mussten, zu erleben! Schon bald hatten wir den 2965m hohen Gipfel der Croda Rossa erreicht. Da uns uns Schneeflocken, Nebel und Wind das Gipfelbild versauten, machten wir uns sofort auf den steilen Abstieg über die Ferrata Zandonella. Die A-,B-, und C-Stellen im griffigen Dolomitgestein wurden rutschig, doch wir konterten mit Klettersteighandschuhen. Bald ergoss sich ein eiskalter Bach den Klettersteig hinunter mitten durch die Kabel, durch die Ärmel bis hinein in unsere Wanderstiefel und befreite uns von jeglichem Angst- und Aufstiegssschweiß. Der obere Teil der Ferrata endete auf einem Geröllfeld, umgeben von Felstürmen, auf dem wir uns zunächst im Schnee orientieren mussten. Waren alle roten Punkte unter Schnee begraben? Sollten wir im abschüssigen Gelände absteigen? Nein, der Weg führte über einen Fels hinweg an Kabeln wieder nach oben, bis er in ein luftiges Band mündete, dem wir einige Hundert Meter folgen konnten. Dann erfolgte ein weiterer, leicht überhängender Abstieg in ein steiles Geröllkar mit viel lockerem Gestein (aber zumindest waren wir raus aus dem Schnee). Und schon war die idyllisch gelegene Hütte Rif. Berti (1950m) in Sicht, in der wir unser Lager in ein textiles Chaos mit 90% Luftfeuchte verwandelten. Literweise mit Heißwasser versorgt, wurde es schon bald Zeit, den nächsten Tag zu planen.
Angenehmes, fast schon sonniges Wetter gebot uns, zum letzten und anstrengendsten Teil der Tour zu starten: Aufstieg zur Ferrata Roghel, die uns immer höher die Welt der bizarren Türmchen und Zinnen des Monte Popera-Massivs führte. Die abwechslungsreiche Routenführung machte die Klettersteigpassagen im A-,B-, und seltener C/D-Bereich nach oben zu einem Genuss. Ab der Forcella delle Guglie (2675m) ging’s wieder abwärts ins nächste Tal, zuerst kletternderweise, später dann wurde das eigens mitgeführte Seil ausgepackt und über ein steiles Schneefeld abgeseilt. Pünktlich zur Mittagspause verschlechterte sich das Wetter. Bei leichtem Niederschlag stiegen wir, hoffend aufs Beste, in die Ferrata Gabriella ein. Auf diesem langen, teils ungesicherten und abwechslungsreichen Klettersteig wechselten sich leichte und schwierigere, auf- und absteigende Passagen durch unterschiedlich gefärbtes Gestein mit felsigen Bändern ab und boten Einblicke auf die zahlreichen Schluchten und Felszacken. Als wir auf dem letzten, anstrengenden Abstiegsstück des Steigs schon die Carducci-Hütte (2297m) erspäht hatten, schlug uns das Schicksal noch ein Schnippchen: die Kabel waren abgebaut und mit einem Seil ersetzt worden, das im bröckeligen, nassen Gestein nur an wenigen Stellen fixiert war und irgendwo im Nirgendwo endete – d.h. auf einem weiteren unserer geliebten abschüssigen Altschneefelder. Das vorsichtige Überwinden ungesicherter Absturzstellen im schattig-nebligen Steilgelände kostete uns einiges an Zeit. Ich glaube, dass spätestens ab jetzt jeder unserer Gruppe immer ein paar Grödel mit sich führen wird, sei es auf den Sonntagsspaziergang oder auf den Weg zur Arbeit.
In der Carducci-Hütte herrschte großer Andrang, sodass wir uns glücklich schätzen durften, Plätze im engen Dreifachstockbett-Lager mit Dosensardinen-Feeling ergattert zu haben. Nachdem wir fast 11 Stunden unterwegs gewesen waren, erlebten wir das den Hüttengästen gebotenem nächtliche Live-Konzert nur in der Waagerechten.
Trotz Nachtfrost stiegen wir am nächsten Tag bei blauem Himmel und Sonnenschein vorbei an der Zsigmondy-Hütte ins Fischleintal ab. Ganze Ströme von Wanderern und Bergsteigern, angetan mit kurzen Hosen, Sonnenbrillen und vermutlich sogar mit Sonnencreme eingeschmiert, kamen uns erwartungsfroh entgegen.
Ein besonderes Lob geht an unsere Guides Uli und Stella für die gute Planung der schönen Tour, die wir bei besserem Wetter anderen Bergfreunden aufs Wärmste empfehlen können!
Die Mannheimer – Uli Becker, Albrecht Schwabe, Barbara Remark, Cosima Henrich, Dietmar Schade, Jürgen Böhm, Jürgen Söffker, Thomas Kasimir
Die Garmischer – Stella Reuter, Rich und Undine Potterton